Traditionelle Ehrvorstellungen als Integrationshindernis und Spannungsverhältnis Meinungsfreiheit – Religionsfreiheit

Wien
Vereinigung Sozialdemokratischer Lehrerinnen und Lehrer an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen
Mittwoch,
8
.11.
2017
18.30 Uhr

Atrium der Österreichischen Beamtenversicherung

1010 Wien, Grillparzerstraße 14/Ecke Landesgerichtsstraße

Nina Scholz
Politikwissenschafterin und Autorin
Heiko Heinisch
Historiker und Autor

Nina Scholz, Politikwissenschafterin und Autorin. Forschungen am Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft in Wien. Vorträge und Beratungen im politischen und pädagogischen Bereich. Forschungen und Publikationen zu den Themen Antisemitismus, Nationalsozialismus, Menschenrechte und Islam, sowie zu traditionellen Ehrvorstellungen als Integrationshindernis.
 
Heiko Heinisch, Historiker und Autor. Er arbeitete am Ludwig Boltzmann-Institut für Historische Sozialwissenschaft in Wien und am Institut für Islamische Studien der Universität Wien und publizierte zu den Themen Antisemitismus und Nationalsozialismus, Integration muslimischer Einwander/innen und zum Themenkomplex Europa, Menschenrechte und Islam
 
Teil 1: Traditionelle Ehrvorstellungen als Integrationshindernis, Nina Scholz
Einwanderung aus konservativen Milieus islamisch geprägter Gesellschaften hat Europa vor neue Herausforderungen gestellt. Dazu zählt die Konfrontation mit einem Ehrkonzept, das auf den Körper und die Sexualität von Mädchen und Frauen abzielt. Diese Ehrvorstellungen, deren Kern im Vortrag vorgestellt wird, schlagen sich in Form von Ungleichbehandlung, Unterdrückung und Gewalt nieder und haben gravierende Auswirkungen auf die Entwicklung und die Chancen von Mädchen, aber auch auf die Erziehung von Burschen, die von klein auf in die Rolle von Sittenwächtern gedrängt werden. Unterdrückung im Namen der Ehre gerät meist erst dann ins Bewusstsein der Öffentlichkeit, wenn sie in der Ermordung eines Mädchens/einer Frau – in der Regel der Tochter oder Schwester – gipfelt. Doch der Mord zur Wiederherstellung der Ehre ist der Ausnahmefall, das äußerste Mittel einer langen Kette familiärer Repressalien. Hinter jedem Ehrenmord stehen unzählige Kinder und Jugendliche, deren Persönlichkeitsrechte verletzt und die von ihren Familien zu einem Leben im Rahmen überkommener Ehrvorstellungen erzogen/gezwungen werden, die nicht selbst entscheiden können, ob sie heiraten wollen oder nicht; die sich ihre Partner/Partnerin nicht selbst aussuchen dürfen und die durch konservativ-islamische Erziehungsvorstellungen und frühe Verheiratung oft von Bildung abgeschnitten werden.
Realitätsverweigerung, Wunschdenken, Relativierung und Angst, in die rechte Ecke gestellt zu werden, führten dazu, dass Kinder und Jugendliche unserer Gesellschaft im Stich gelassen wurden und werden.
In vielen religiösen Milieus ist ein konservativ-islamischer Aufbruch zu beobachten, der längst auch den Schulalltag erreicht hat. Unter Jugendlichen aus muslimischen Familien breitet sich eine „Haram-Kultur“ aus, die im Namen von Religion und Ehre Gebote und Verbote propagiert und vor allem Mädchen zu einem „islamkonformen“ Lebensstil nötigen will.

 

Teil 2: Spannungsverhältnis Meinungsfreiheit – Religionsfreiheit, Heiko Heinisch
Seit dem Karikaturenstreit im Jahr 2006 werden die immer gleichen Fragen aufgeworfen: Darf man Mohammed abbilden? Darf man Religionen kritisieren und sich über sie lustig machen? Darf man „religiöse Gefühle“ verletzen? Gibt es Grenzen der Meinungsfreiheit? Von verschiedenster Seiten wurde in die Debatte geworfen, dass das Recht auf Meinungsfreiheit im Recht auf Religionsfreiheit seine Grenzen fände. Aber was besagt das Recht auf Religionsfreiheit? Was schützt es? Oder besser gefragt, was schützt es nicht? Der Versuch, Religionsfreiheit gegen Meinungsfreiheit in Stellung zu bringen, übersieht, dass das Recht auf Religionsfreiheit ein Individualrecht ist und kein Religionsschutz. Es schützt die Bekenntnisfreiheit des/der Einzelnen und die damit verbundene (auch gemeinschaftliche) Ausübung der Religion und nicht die Religionen selbst vor offenem Diskurs und freiem Wettbewerb der Ideen.
Karikaturen, Satire oder Religionskritik verletzen niemandes Recht auf Religionsfreiheit. Sie hindern niemanden daran, das Recht auf Religionsfreiheit in Anspruch zu nehmen, das darin besteht, dem eigenen Glauben nachzugehen, diesen in Gemeinschaft mit anderen auszuüben, ihn zu wechseln oder abzulegen. Auch wenn Kritik oder Spott als Beleidigung empfunden werden, eine Einschränkung der Religionsfreiheit lässt sich daraus nicht ableiten. Ob Kritik und Spott den Strafbestand der Beleidigung oder Verhetzung erfüllen, entscheiden letztlich Gerichte.
 
Literatur:
 
- Nina Scholz (Hg.), Gewalt im Namen der Ehre, 2016
- Nina Scholz/Heiko Heinisch, Europa, Menschenrechte und Islam - ein Kulturkampf?, 2012
- Nina Scholz/Heiko Heinisch, Charlie versus Mohammed. Plädoyer für die Meinungsfreiheit, 2016